Gewinner der Karl Max von Bauernfeind-Medaille 2016
Träume und Wahrheiten
fatum 3 | , S. 19
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Moderne Posten

Was das Verhalten in sozialen Netzwerken damit zu tun hat, wie wir uns und unsere Mitmenschen sehen

Wer ab und zu in sozialen Netzwerken unterwegs ist, dem könnten Szenarien der folgenden Art durchaus bekannt vorkommen:

Auf Facebook aktualisiert Freund A sein Profilbild. Es zeigt ihn in der Landschaft Islands, dem zweiten Stopp seiner „kleinen Weltreise“: wunderbar weit, leer, grün, naturbelassen. Auf Instagram postet Freundin B ein Foto. Man sieht zwei Gläser Wein, im Hintergrund Berge und Sonnenuntergang. Sie verbringt mit ihrem Freund gerade ein Wellness-Wochenende in Österreich. Auf dem Profil von Freund C ist ein Foto von seinem brillant bestandenen Examen. Und Freundin D ist laut Instagram gerade auf dem Konzert ihres Lebens.

Ich sitze währenddessen am Schreibtisch. Umgeben von gefühlt 1000 Büchern, von denen sich hoffentlich ein paar mit meinem Bachelorarbeitsthema befassen. Nein, leider könnte ich jetzt definitiv kein Bild posten und mit dem Hashtag #yolo versehen. Und der Blick aus dem Fenster raubt mir das letzte Fünkchen Hoffnung. Keine fröhlichen, motivierenden Sonnenstrahlen, sondern graues, tristes Hamburger Regenwetter sagt hallo. Schon ist da dieser „Mein Leben ist viel langweiliger als das meiner Mitmenschen“-Gedanke. Auch ich träume davon, nach Island zu reisen. Auch einen romantischen Abend mit Bergkulisse und einem Glas Wein zu verbringen. Auch auf einem Konzert der Band zuzujubeln und bis in die Morgenstunden zu tanzen. Aber woher das Geld? Und woher die Zeit? Ich denke nicht nur mir kommt manchmal ein „Das ist toll! Das möchte ich auch“-Gedanke in den Kopf, wenn ich durch die Feeds sozialer Netzwerke scrolle.

Der deutsche Sozialpsychologe Prof. Dr. Thomas Mussweiler postuliert diesbezüglich: Wann immer Menschen Informationen über sich selbst und andere verarbeiten, so tun sie dies in einer vergleichenden Weise.1 Dieser Aussage liegt die Theorie des sozialen Vergleichs des US-amerikanischen Sozialpsychologen Leon Festinger zugrunde.2 Sie besagt, dass es das Grundbedürfnis jedes Individuums ist, die eigenen Meinungen und Fähigkeiten zu bewerten. Folglich vergleicht es sich mit anderen, und zwar entweder mittels Abwärts- oder Aufwärtsvergleichen: In Abwärtsvergleichen ist die Vergleichsperson im interessierenden Merkmal niedriger gestellt; in Aufwärtsvergleichen ist sie dagegen höher gestellt. Die Selbstbewertung fokussiert beispielsweise die Komponenten „Stand der eigenen Fähigkeiten“, „Angemessenheit des eigenen Verhaltens in bestimmten sozialen Situationen“ sowie „Platzierung innerhalb des sozialen Umfelds im Hinblick auf Attraktivität oder Intelligenz“. Ebenso ist Attraktivität des eigenen Lebens ein Vergleichskriterium. Kommt es zu einem Aufwärtsvergleich in diesem Aspekt, taucht schnell der oben beschriebene „Mein Leben ist viel langweiliger, als das meiner Mitmenschen“-Gedanke auf und wir hegen den Wunsch, ebenso spannende Dinge zu tun wie die anderen und dem Alltagstrott zu entfliehen oder unseren Alltag attraktiver zu gestalten. Denn offensichtlich können das alle anderen ja auch.

Der Punkt ist nur, so genau wissen wir eigentlich oft nicht, wie der Alltag der anderen tatsächlich aussieht. Und was oder was sie nicht von ihrem Alltag zeigen. Eben diese Entscheidung fällt unter den Ausdruck Impression-Management.

Grob gesagt bezeichnet der Begriff die bewusste Steuerung des eigenen Eindrucks. Das theoretische Konzept des Impression-Managements wurzelt in der Sozialpsychologie. Als eine Theorie sozialen Verhaltens basiert die Impression-Management-Theorie auf der wechselseitigen, dynamischen Beziehung zwischen sozialer Umgebung und Individuum. Sie geht also davon aus, dass Individuen nicht nur durch ihr soziales Umfeld beeinflusst werden, sondern dieses auch selbst aktiv beeinflussen.3 Das erfolgt, so die Kernthese der Theorie, indem Individuen versuchen in sozialen Interaktionen den Eindruck, den sie auf andere Personen machen, zu kontrollieren4. Dabei werden je nach sozialem Kontext verschiedene Persönlichkeitsfacetten in den Vordergrund gestellt. Sind im Berufsleben eher Kompetenz und Leistungsbereitschaft entscheidend, sind es für dieselbe Person im Freundeskreis eher Geselligkeit und Loyalität, in der Liebesbeziehung Liebenswürdigkeit. Der Soziologe Erving Goffman sieht Impression-Management sogar in Analogie zum Theaterspielen: Das soziale Umfeld entspricht dem Publikum, das Individuum dem Schauspieler.5 Je nach Publikumserwartung schlüpft der Schauspieler in eine andere Rolle und sucht die Rolle aus, die dem Publikum am besten gefällt. Anzumerken ist, dass Impression-Management zwar manchmal, wie in Goffmans Metapher, bewusst, manchmal jedoch auch unbewusst erfolgt. Ebenso betreiben es je nach Persönlichkeit manche mehr, andere weniger. Die zentralen Motive dabei sind soziale Anerkennung, Stärkung des Selbstwertgefühls sowie Identitätskonstruktion.

Soziale Netzwerke, also virtuelle Gemeinschaften, über die soziale Beziehungen gepflegt und eigene Inhalte online verbreitet werden können, sind ein echtes „Paradies“ für Impression-Management. Schon um überhaupt Mitglied eines sozialen Netzwerks zu werden, muss man ein persönliches Profil anlegen – und betreibt so gesehen auch sofort Impression-Management. Weiterhin bieten soziale Netzwerke im Vergleich zum realen Leben viel mehr Verhaltensweisen für die Eindruckssteuerung. Wo sich Verhalten im echten Leben auf Sprache, Mimik und Gestik beschränkt, bieten Facebook, Instagram, Twitter & Co viel mehr: Hier gibt es Gefällt-mir-Angaben, die Kommentar-Funktion, die Möglichkeit eigene Inhalte hochzuladen oder andere Inhalte zu teilen, anderen Nutzern zu folgen und sein Profil in allen Facetten individuell zu gestalten. Ein weiterer, sehr deutlicher Unterschied zum realen Leben liegt im Grad der möglichen bewussten Eindruckssteuerung. Er ist infolge der meist asynchronen Kommunikation auf sozialen Netzwerken sehr hoch. Was genau vom eigenen Leben preisgegeben wird, kann problemlos überdacht, dann konstruiert und bei Bedarf sogar modifiziert oder wieder gelöscht werden. Folglich können Nutzer also strategische Planung – oder anders ausgedrückt – eben gezieltes Management in Bezug auf den eigenen Eindruck betreiben. Das heißt: ihr Leben so darstellen, wie sie es gerne sehen beziehungsweise gesehen haben möchten.

Passend zu dieser Erkenntnis fanden die beiden Kommunikationsforscher Amy L. Gonzales und Jeffrey T. Hancock in einer Studie heraus, dass das Betrachten des eigenen Online-Profils auf sozialen Netzwerkseiten eher zur Steigerung des Selbstwertgefühls führt als der Blick in den Spiegel. Grund hierfür sei, dass ein Individuum im Spiegel das „wahre Ich“ mitsamt seinen Imperfektionen sehe. Im Online-Profil hingegen präsentiere es nur sorgsam ausgewählte, begünstigende Aspekte des Selbst.6 Eine Studie von Hui-Tzu Carce Chou und Nicholas Edge bestätigt diese Ergebnisse. Die beiden Forscher fanden in ihrer Befragung amerikanischer Studenten heraus, dass das Gefühl, andere hätten ein spannenderes Leben und seien glücklicher, sich mit den auf Facebook verbrachten Stunden verstärkte.7

Das Gefühl, ein weniger aufregendes Leben zu haben, schlecht auszusehen, irgendwie „nicht dazu zu gehören“ – warum sollten wir soziale Netzwerke denn dann überhaupt noch nutzen? Nun, meistens ist der Grund für die Anmeldung – abgesehen vom „Hat halt jeder, geht halt nicht ohne“-Gedanken – doch positiver Natur: die Möglichkeit Kontakte aus der ganzen Welt zu pflegen, eine kostenfreie Mitteilungsplattform für jegliche Anliegen, eine Diskussions- und manchmal Inspirationsplattform, die wohl schnellste Möglichkeit, Neuigkeiten aus aller Welt zu erfahren etc.

360-Grad-Aufnahme mit extremer Fisheye-Verzerrung
„Ob eure Welt auch so schön ist? #yolo“; Foto: Alexander Bucher, Paul Zasche

Soziale Netzwerke können also nicht per se als etwas Schlechtes gewertet werden. Das, was mit Sicherheit einige der negativen Eigenschaften bedingt, ist die Art und Weise der Nutzung. Viel mehr noch, als die Frage danach, warum man soziale Netzwerke nutzen sollte, sollte also jeder für sich persönlich die Frage nach dem wie reflektieren. Wie intensiv? Mit welcher Einstellung? Mit welchem Hintergrundwissen?

Auch, wenn es den Meisten vielleicht eigentlich bewusst ist, dass wir in sozialen Netzwerken sehr konstruierte Bilder des Lebens anderer Menschen sehen, vergessen wir das doch ab und zu, wenn wir einmal wieder das Gefühl haben, dass das Leben aller anderen spannender als unseres ist, und nur wir nicht immer so sein und das tun können, was und wie wir wollen. Und vielleicht sollten wir uns immer wieder vor Augen führen, dass bestimmt auch Andere tristes, graues Regenwetter anblicken und sich mit Stapeln von Büchern und Arbeit herumschlagen müssen – das aber womöglich nicht immer in ihren Online-Profilen zeigen.


  1. Vgl. Thomas Mussweiler, Sozialer Vergleich, in: Hans-Werner Bierhoff und Dieter Frey (Hrsg.), Handbuch der Sozialpsychologie und Kommunikationspsychologie (Göttingen: Hogrefe, 2006), 103–112.
  2. Vgl. Leon Festinger, A Theory of Social Comparison Processes Human Relations (1954), 117–140.
  3. Vgl. Hans D. Mummendey und Hein-Gerd Bolten, Die Impression-Management-Theorie, in: Dieter Frey und Martin Irle (Hrsg.), Theorien der Sozialpsychologie, Band III: Motivations-, Selbst- und Informationsverarbeitungstheorien (Bern: Huber, 2002), 57–77.
  4. Hans D. Mummendey, Selbstdarstellungstheorie, in: Dieter Frey und Martin Irle (Hrsg.), Theorien der Sozialpsychologie, Band III: Motivations-, Selbst- und Informationsverarbeitungstheorien (Bern: Huber, 2002), 215.
  5. Vgl. Erving Goffman, The Presentation of Self in Everyday Life (London: Penguin Random House, 1975).
  6. Vgl. Amy L. Gonzales und Jeffrey T. Hancock, Mirror, Mirror on my Facebook Wall: Effects of Exposure to Facebook on Self-Esteem, in: Cyberpsychology, Behavior and Social Networking (2010), 1–5.
  7. Hui-Tzu Grace Chou und Nicholas Edge, They Are Happier and Having Better Lives than I Am: The Impact of Using Facebook on Perceptions of Others’ Lives, in: Cyberpsychology, Behavior and Social Networking (2012), 117–121.

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