Gewinner der Karl Max von Bauernfeind-Medaille 2016
Dialog
fatum 5 | , S. 76
Inhalt

Einladung zum Einmischen

Und was die WiD dazu beitragen könnte

Wissenschaft soll für alle Menschen zugänglich und verständlich sein – das ist eines der Ziele von Wissenschaft im Dialog (WiD). Der Dialog im Namen steht dabei weniger für mal drüberreden, sondern vielmehr für sich auseinandersetzen, hinterfragen, selbst aktiv werden, ausprobieren und kontrovers diskutieren.

Zur besseren Einordnung vorneweg: WiD ist eine gemeinnützige Organisation, die bei Menschen aller Altersgruppen und jedes Bildungsstandes Interesse an Forschungsthemen wecken und stärken will. Der Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit findet je nach Projekt auf ganz unterschiedlichen Ebenen statt: im Rahmen klassischer Diskussionsveranstaltungen, im Schulunterricht, in Ausstellungen, bei Wettbewerben und auf Fachtagungen. Hauptsache, möglichst viele und möglichst unterschiedliche Menschen setzen sich mit Forschungsthemen auseinander. WiD versteht sich dabei nicht nur als Organisator von Projekten, sondern auch als Ideenwerkstatt, in der laufend neue Formate entwickelt werden, um Wissenschaftsthemen noch besser zugänglich zu machen. Außerdem ermutigt WiD Wissenschaftler selbst, ihre Forschungsarbeit mit der Gesellschaft zu teilen.

Warum aber sollten sie das überhaupt? Wie in vielen anderen Bereichen gilt auch (oder gerade) in der Forschung: Transparenz schafft Vertrauen. Je offener WissenschaftlerInnen mit ihren Ergebnissen umgehen, desto größer das Verständnis, desto größer langfristig die Akzeptanz. Forscher, die den Diskurs mit der Öffentlichkeit suchen, können abstrakte Themen greifbar machen und (nicht nur im übertragenen Sinne) einen Blick in ihr Labor ermöglichen. Umgekehrt: Warum sollten sich Menschen, die sich bislang kaum für wissenschaftliche Themen interessiert haben, für einen Dialog mit Forschern öffnen? In der Regel beeinflussen Forschungsthemen unser Leben früher oder später. Die Technologien von morgen entstehen heute. Jetzt gerade, in den Laboren deutscher Universitäten und Forschungseinrichtungen. Sich eine Meinung zu bilden, für die man gute Argumente hat, ist für viele selbstverständlich. Populäre Beispiele sind das Impfen oder der Einsatz von Glyphosat, aber auch Themen wie Integration oder Flucht. Zu selten kommen WissenschaftlerInnen zu Wort, zu oft kursieren Gerüchte. Sich einmal die wissenschaftliche Brille auf die Nase zu setzen, kann den Blick auf ein Thema schärfen.

Doch wer beteiligt sich überhaupt an solchen Projekten? Was passiert genau, wenn man versucht zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zu vermitteln? Wie sieht ein erfolgreiches Projekt aus? Dieser Text soll zeigen, wie unterschiedlich Dialoge und Partizipation in der Wissenschaft sein können – und dass Austausch und Transparenz die Grundlage sind für Bildung und Beteiligung. Die Handlungsfelder von WiD sind: Breitenkommunikation, Dialog zu kontroversen Themen, Experimentalplattform, Plattform des Erfahrungsaustauschs – hiernach sind auch die folgenden Abschnitte unterteilt, die verschiedene Formen des Dialogs zeigen.

Breitenkommunikation (MS Wissenschaft)

Das Ausstellungsschiff MS Wissenschaft ist ein umgebautes Binnenfrachtschiff mit einer Ausstellungsfläche von 600 Quadratmetern. Es ist seit 2002 im Rahmen der Wissenschaftsjahre jeden Sommer als schwimmendes Science Center quer durch Deutschland unterwegs. Die Besucher, die auf die MS Wissenschaft kommen, erleben eine ganz besondere Form des Dialogs: Mitmach-Exponate laden Menschen aller Alters- und Bildungsstufen ein, selbst aktiv zu werden, sich mit einer Fragestellung auseinanderzusetzen und den Dingen auf den Grund zu gehen. Wenn etwas unklar ist, können sich die Besucher an die Lotsen wenden: junge WissenschaftlerInnen oder Studierende, die als Ausstellungsbetreuer die MS Wissenschaft begleiten. Die interaktive Ausstellung zeigt jeweils rund 30 Exponate. Viele davon werden von Forschungseinrichtungen und Hochschulen gebaut – und bieten Wissenschaft aus erster Hand.

Die MS Wissenschaft in Bonn am Brassertufer.
Bonn am Brassertufer, Quelle: ms.wissenschaft, Creative Commons BY-NC 2.0

In der aktuellen Ausstellung im Wissenschaftsjahr 2016/17 – Meere und Ozeane gehen die BesucherInnen zum Beispiel auf eine Forschungsexpedition: Sie tauchen ein in die beeindruckende Welt der Meere und Ozeane, erkunden Lebensräume wie Küste, Hochsee, Tiefsee oder Eismeer und bekommen einen Einblick in die vielseitige Arbeit von Forscherinnen und Forschern. Die Ausstellung zeigt, welche Bedeutung die Weltmeere für das Klima haben, welche Rolle sie als Rohstoffquelle spielen und wie wir die Ozeane schützen und sinnvoll nutzen können, ohne sie auszubeuten.

Die Ausstellungsstücke laden SchülerInnen, Jugendliche und Erwachsene zum Ausprobieren ein. Bei einem Spiel zum Thema Überfischung können die BesucherInnen zum Beispiel herausfinden, wie nachhaltiger Fischfang funktioniert. Mit einer Virtual-Reality-Brille tauchen sie durch ein tropisches Korallenriff und erkunden, welche Tiere dort leben und wodurch deren Lebensraum gefährdet wird. Im Tiefseekino entdecken sie, was für Kreaturen sich in vollkommener Finsternis tausende Meter tief am Meeresgrund tummeln.

Eine eher klassische Möglichkeit des Dialogs bietet sich den Besuchern bei den Veranstaltungen an Bord. Dort finden zum Beispiel Führungen mit Forschern statt oder Diskussionsabende, bei denen BürgerInnen mit ExpertInnen diskutieren* – jeweils zu einem Thema rund um die Ausstellung. Für Schulen gibt es außerdem eine Ausstellungsrallye und auch Unterrichtsmaterialien. Ziel ist, dass der Dialog nicht mit dem Verlassen des Schiffs beendet ist, sondern in Schulen und zuhause fortgeführt wird.

Dialog zu kontroversen Themen (Wissenschaft kontrovers)

Wissenschaft kontrovers ist eines der ältesten Dialogformate von Wissenschaft im Dialog: eine klassische Diskussionsrunde zu einem möglichst kontroversen Thema zwischen ExpertInnen und Publikum. Klassisch? Nun, ganz so ist es doch nicht. Der Aufbau und Ablauf jeder Veranstaltung ist so gestaltet, dass sich für das Publikum möglichst oft die Gelegenheit zum Einmischen, Mitreden und Nachhaken ergibt.

Die Diskussionsrunden finden zum Beispiel im Fishbowl-Format statt. Das heißt, dass die ExpertInnen im Kreis sitzen, das Publikum ebenfalls kreisförmig um sie herum. In der Expertenrunde ist immer ein Stuhl frei. JedeR ZuschauerIn ist eingeladen, dort für eine gewisse Zeit Platz zu nehmen, um sich in die Diskussion einzubringen. Das Fishbowl-Format ermöglicht dem Publikum, sich (kritisch) an der Diskussion zu beteiligen, Fragen zu stellen und ihre Meinung kund zu tun.

Eine andere Form des Dialogs bietet sich bei den wissenschaftlichen Nachtcafés. Hier gibt es einführende Expertenvorträge, zum Beispiel zu Themen wie Rohstoffabbau am Meeresgrund, Elektromobilität in der Innenstadt oder Datenverwertung in sozialen Netzwerken. Nach den einführenden Vorträgen ist das Publikum gefragt: In entspannter Caféhaus-Atmosphäre diskutieren die ZuschauerInnen das Thema zunächst an kleinen Gruppentischen. Dort entwickeln sie Fragen und Ideen, die im Anschluss in großer Runde besprochen werden. Später geht der Dialog online weiter: Auf der Website www.wissenschaft-kontrovers.de können die Ergebnisse der Diskussion eingesehen und kommentiert werden.

Ein neues Format in der Dikussionsreihe Wissenschaft kontrovers ist die Unterhausdebatte. Sie orientiert sich am britischen House of Commons („Unterhaus“) und der dortigen Debattenform. Bei dieser Diksussion prallen die Positionen zu einer kontroversen Fragestellung direkt aufeinander. In einer Art Schlagabtausch gehen die TeilnehmerInnen direkt auf die Argumente der GegnerInnen ein, und das Publikum äußert ebenfalls sofort und lautstark seine Zustimmung oder Ablehnung.

Experimentallabor (Hack your City)

Wieviel Land braucht die Stadt? Wie grün sollen unsere Städte sein? Wie ernähren und bewegen wir uns in der Stadt der Zukunft? Und was kann die Wissenschaft dafür tun, um eine nachhaltige Entwicklung der Stadt zu ermöglichen? Solche komplexen Fragen erfordern interdisziplinäre Antworten. Im Projekt Hack your City haben deshalb WissenschaftlerInnen ganz unterschiedlicher Disziplinen gemeinsam mit BürgerInnen, Kommunen und Wirtschaft kluge Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen etwickelt – bezüglich Themen wie Klimawandel, Energiesicherheit, gute Arbeit oder das soziale Miteinander. Wichtig war, dass die Ideen auf kommunaler Ebene verwirklicht werden können. In vier deutschen Städten fand das Projekt 2015 statt.

Sie haben geknetet, diskutiert, gelötet und programmiert: Die rund 60 TeilnehmerInnen von Hack your City in Berlin haben Lösungen entwickelt, die ihre Stadt fit für die Zukunft machen. Dafür WiDmeten sich die DesignerInnen, EntwicklerInnen, WissenschaftlerInnen und stadtbegeisterten BürgerInnen beim Hack Day ganz unterschiedlichen Fragen: Wo gibt es Mobilitätslücken in Berlin? Wie können BürgerInnen ihre Wünsche an die Stadt öffentlich machen und umsetzen? Wie wird die Luft in der Berliner Innenstadt sauber? In kleinen Teams haben die „HackerInnen“ zwei Tage lang an ihren Anwendungen und Prototypen getüftelt – und am Ende umsetzbare Lösungen vorgestellt. Senatskanzleichef Björn Böhning versprach: Wir werden uns die Ergebnisse im Senat anschauen und prüfen, ob man in Berlin eine Nutzung für sie finden kann. Es sei wichtig, den urbanen Herausforderungen mit digitalen Technologien zu begegnen, sagte Böhning.

Der Schriftzug Hack your City über der Vogelperspektive einer Straßenkreuzung.
Hack your City, Quelle: Wissenschaft im Dialog

Drei Projekte, die ausgezeichnet wurden: Move and Smell – ein Sensor, den man sich an Fahrrad oder Auto klemmen kann, um die Feinstaubbelastung in der Umgebung zu messen. Make a Wish – eine interaktive Karte Berlins, auf der man seine Wünsche an die Stadt eintragen kann, wie zum Beispiel einen Zebrastreifen vor der Schule oder an anderer Stelle einen Fahrradweg. Mach dein Fahrrad klüger – ein Fahrradsensor, der automatisch misst, wie viele Schlaglöcher man überfährt und wo es schnell vorangeht. Ziel war hier, ein besseres Navigationssystem für RadfahrerInnen zu entwickeln. Diese Form des Dialogs hat nicht nur denen genützt, die sich daran beteiligt haben, sondern praktischerweise allen StadtbewohnerInnen.

Und auch im Projekt Hack your City war der Austausch langfristig gedacht: Nach dem Hack Day trafen sich die TeilnehmerInnen weiterhin, um an der Weiterentwicklung und Umsetzung ihrer Ideen zu arbeiten.

Plattform des Erfahrungsaustauschs (Forum Wissenschaftskommunikation)

Wissenschaft für alle!? – Das ist der thematische Schwerpunkt des 9. Forum Wissenschaftskommunikation, das vom 5. bis 7. Dezember 2016 in Bielefeld stattfindet. Mit dem Forum Wissenschaftskommunikation bietet Wissenschaft im Dialog schon seit vielen Jahren einen Überblick über aktuelle Themen, Trends und Strategien der Wissenschaftskommunikation. Die Veranstaltung bringt all jene zusammen, die sich der Kommunikation und dem Marketing von Wissenschaft verschrieben haben: WissenschaftlerInnen, MitarbeiterInnen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, JournalistInnen, VertreterInnen von Science Centern, Schülerlaboren, Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Wissenschaftsfestivals, Marketingfachleute, LehrerInnen und Interessierte.

Auf dieser Tagung werden jedes Jahr Ideen ausgetauscht, wie Wissenschaft und Öffentlichkeit noch besser interagieren können. In Sessions, Projektvorstellungen und interaktiven Formaten treten sie in Austausch – für den Austausch.

Workshops oder Schulungen finden beim ForumSpezial statt. In Summer Schools und Lernwerkstätten bekommen NachwuchswissenschaftlerInnen und junge ForscherInnen Antworten auf die Fragen: Wie kann ich als WissenschaftlerIn meine Themen und Ergebnisse in die Medien bringen? Welche sind für JournalistInnen überhaupt interessant und was habe ich davon, wenn ich mein Wissen vermittle? Welche Möglichkeiten bieten Blogs, Facebook und Co., um mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren?

Die Nachwuchskräfte aus Wissenschaft, Technik und Kommunikation besprechen diese und weitere Fragen mit ExpertenInnen aus Forschung und Praxis der Wissenschaftskommunikation. Sie lernen, wie sie ihre Forschungsthemen an die Öffentlichkeit bringen und welche Chancen auch für sie entstehen, wenn sie den Dialog mit BürgerInnen suchen. Ziel ist, dass junge ForscherInnen von Beginn an lernen, dass der Austausch mit der Öffentlichkeit kein optionales Zusatzangebot ist, sondern dass er zum Forschungsprozess selbstverständlich dazugehört.

Für alle Handlungsfelder – vom Erfahrungsaustausch unter den Kollegen über die experimentelle Herangehensweise an neue Projekte über die Diskussion kontroverser Themen bis hin zur Breitenkommunikation – gilt, dass der Dialog die Grundlage ist für Transparenz, Bildung und Beteiligung. Dass dieser je nach Thema und Zielgruppe ganz unterschiedlich ausfallen kann und muss, zeigen die vielen verschiedenen Projekte von Wissenschaft im Dialog.**


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