Gewinner der Karl Max von Bauernfeind-Medaille 2016
Dialog
fatum 5 | , S. 52
Inhalt

Das schweißt zusammen!

Ein außergewöhnliches Projekt für Flüchtlinge und Studierende startet in Wien

In fatum 6 erschien der zweite Teil dieses Berichts über das Wohnprojekt Hawi: Don’t worry, be Hawi.

Sie nennen es Hawi, und gleichzeitig auch Traudi. Beides steht für eine besondere Aktion, bei der Architekturstudenten aus Wien für Flüchtlinge nicht nur ein Dach über dem Kopf schaffen, sondern ein echtes Zuhause. Denn sie wissen: Die Menschen, die aus Kriegsgebieten kommen, brauchen nicht nur Schutz, sondern wollen auch ein neues Leben beginnen und das Gefühl von Heimat.

Wir schaffen das! – berühmt und berüchtigt ist Bundeskanzlerin Angela Merkel mittlerweile für diese Aussage. Viele bewundern sie dafür, dass sie angesichts der vielen Flüchtlinge in Europa Haltung bezieht und sich klar für eine humanitäre Hilfe für die Abertausenden Flüchtlinge ausgesprochen hat. Sie will Mut und sich für eine Wilkommenskultur stark machen. Sie möchte ihre Bürger motivieren, sich für die Ankommenden zu engagieren. Andere dagegen sind vorsichtig gegenüber den vielen Menschen aus den fernen Kulturen, sind skeptisch gegenüber dem Fremden. Vielleicht haben sie sogar Angst davor, dass sich vieles verändern könnte. Dass ihnen Dinge verloren gehen, wie die eigene Kultur, die Sprache, die Wohnung oder der eigene Arbeitsplatz. Sie vertrauen der Bundeskanzlerin nicht, fühlen sich vielleicht sogar von ihr verraten.

Wer kommt da eigentlich in mein Land? Nehmen mir die etwas weg? Was wollen diese Menschen denn eigentlich hier? Und sind sie vielleicht sogar gefährlich? Fragen über Fragen wuchern in den Köpfen der Menschen, die den ankommenden Fremden ablehnend entgegentreten. Und diese Angst gipfelt manchmal auch in wirklich hässli chen Szenen, wie in Clausnitz, als ein Bus voller Flüchtlinge unter Wir sind das Volk-Rufen von einem Mob bedroht wurde.

Doch glücklicherweise gibt es auch die anderen, die sich engagieren und die sich ganz andere Fragen stellen. Wie kann ich mich für die Flüchtlinge einsetzen? Wo kann ich meine Sachspenden abgeben? An welchen Stellen gibt es eigentlich Bedarf für ehrenamtliche Helfer? Kann ich vielleicht sogar einen Flüchtling bei mir aufnehmen?

Tausende Frauen, Kinder und Männer fliehen vor Krieg und Verderben in Syrien und Irak, sie wollen der Armut der Balkanstaaten entkommen, dem gefährlichen Leben in Nigeria, Eritrea und Somalia. Und sie suchen ein neues Leben in Europa. Dass diese Situation nicht einfach mal so zu stemmen ist, leuchtet ein. Doch es ist ein Akt der Humanität, es wenigstens zu versuchen. Und Versuche gibt es überall in Europa. Zum Beispiel in Wien. Dort entsteht nämlich ein Wohnprojekt für Geflüchtete und Studierende, die – sobald die Wohnräume fertig sind – dort in kleinen Wohngemeinschaften miteinander leben werden. Das Besondere dabei: Fast im Alleingang haben Architekturstudenten der Technischen Universität Wien die Räume geplant und gestaltet.

Eine Säge neben vielen Sägespänen, in die das Wort Traudi geschrieben wurde.
Sägespäne in der Traudi Werkstatt, Foto: Hans Sauer Stiftung

Den Startschuss dieses Konzepts feuerte im Herbst 2015 die Hans Sauer Stiftung ab. Sie fördert Erfindungen und Forschung von Projekten, die erkennbare Verbesserungen für die „natürliche Umwelt“ und die menschliche Gesundheit versprechen. Unter dem Namen „Home not Shelter“, also ein Zuhause, nicht nur Schutz, haben die Stiftung und weitere fünf Hochschulen aus Deutschland und Österreich ein gemeinsames Projekt ausgerufen. Uns ging es darum, dass sich die Studierenden dabei überlegen sollten, wie das Zusammenleben von Geflüchteten und Studierenden aussehen könnte, erklärt Ralph Boch, Vorstand der Hans Sauer Stiftung.

Hawi, so heißt eben diese neue Aktion, welche die österreichischen Architekten konzipiert, in der Umsetzung dann jedoch Caritas und Hans Sauer Stiftung übernommen haben. Im Wesentlichen geht es dabei um einen Umbau eines Gebäudes, erklärt Boch. Wir haben dafür ein ehemaliges Siemens Rechenzentrum mit über 30 000 Quadratmeter Fläche ausgewählt. Im vierten und fünften Stock entsteht dann unser Wohnprojekt, in den anderen Teilen sollen etwa ein Start-up-Zentrum sowie eine Sprachschule einziehen.

Die Planung und den Umbau übernehmen dabei die Architekturstudenten der Technischen Universität Wien. Was die einen Hawi nennen, bezeichnen die jungen Leute als Traudi – was als Abkürzung für das Raumkonzept der Studierenden „Trau dich“ steht. Das Ganze funktioniert so: In die Räume werden spezielle Konstruktionen aus Holz eingebaut, in die jeder Bewohner unter Anleitung der Architekten sein Bett oder seinen Schreibtisch integrieren kann. Alle diese Zimmer lassen sich ganz individuell erweitern und persönlich gestalten. Das findet im kleinen Maßstab in den einzelnen Schlafräumen statt, im großen dann in den Aufenthaltsräumen. Das Haus in der Kempelengasse im zehnten Bezirk – dort steht das ehemalige Rechenzentrum – wird von der Caritas betrieben. Es werden dann 70 Studierende – beziehungsweise Auszubildende – einziehen sowie 45 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und 25 jugendliche Flüchtlinge, deren Asylverfahren gerade läuft.

Petra Panna Nagy ist eine der Traudi-Architekturstudentinnen. Für uns ist Traudi ein Experiment auf mehreren Ebenen, sagt sie. Einerseits auf sozialer Ebene, weil das erste Mal Flüchtlinge und Studierende auf einem Raum miteinander leben. Auf der anderen Seite aber auch gestalterisch, weil wir Studenten den Raum gestalten, und die Bewohner schon im Entstehungsprozess selbst mitentscheiden dürfen, was wo ist und wie sie alles gerne hätten. Die Idee war vor allem, dass sich die Bewohner schneller zu Hause fühlen können, wenn sie mitentscheiden dürfen. Der eine schläft vielleicht gerne am Fenster, der andere möchte dort lieber an seinem Schreibtisch sitzen. Das Daheimfühlen war bei unseren Überlegungen besonders wichtig. Schließlich kommen sowohl Studenten als auch Flüchtlinge in Wien ganz neu an, kennen niemanden und suchen Anschluss. Da ist ein Rückzugsort, an dem man sich wohlfühlt, schon wichtig, so Petra Nagy.

Für die Architekturstudenten waren natürlich besondere Aspekte von Bedeutung. Allein die Frage, wie kann man ein Bürogebäude zu einem Wohngebäude umnutzen, war für uns spannend., so Nagy. Vor allem nur mit minimalen Eingriffen und trotzdem finanziell rentabel.

Beteiligt sind an Traudi ganz viele verschiedenen Menschen. Da wären die Architekturstudenten der TU Wien, welche die Schlafräume planen und errichten. Die Studierenden aus Berlin, die über den Sommer in Wien eine Art Summer School machen und sich um die Aufenthaltsräume kümmern. Dann natürlich die studentischen Bewohner und die Flüchtlinge, die mitplanen und mitbauen. Die Mitarbeiter der Caritas, die das Projekt finanziert und betreut. Und der Hausbesitzer, der alle Veränderungen genehmigen muss.

Wenn so viele Leute auf einem Fleck miteinander etwas schaffen wollen, dann braucht es sowas wie einen Koordinator, erklärt Petra Nagy. Deshalb gibt es jeden Monat zwei Hauptverantwortliche auf der Baustelle, aus den Reihen der Wiener Studierenden. Das alles hier machen wir abseits vom offiziellen Semester, es ist keine Lehrveranstaltung und es gibt keine Credits, sagt Nagy, wir sind freiwillig da. Die Studierenden engagieren sich meist mehr als 40 Stunden die Woche, dazu kommen noch Arbeiten am Wochenende.

Entscheidend ist, viel miteinander zu reden, Details zu besprechen, sich abzustimmen. Da muss man sich erst mal reinfinden, erzählt Nagy. Jeder ist anders, und kommuniziert auch anders. Vor allem für diejenigen, die gerade die Leitung übernehmen ist das wichtig zu beachten. Wie eine Art Tagebuch fungiert dabei den Studierenden das sogenannte Baubuch. Das ist eine Art Dokumentation über die Baustelle, in der aufgelistet ist, was los war und was noch ansteht. Als ich die Hauptverantwortliche war, ist mir vor allem aufgefallen, dass sich jede Gruppe, die gerade zusammenarbeitet, immer ihr eigenes System sucht, wie sie untereinander kommuniziert und ihre Arbeiten dokumentiert.

Ein noch unfertiger Wohnraum aus Holzkonstruktionen, in dem zwei Jugendliche mit einer Gitarre sitzen.
Ein unfertiger Wohnraum, Foto: Hans Sauer Stiftung

Dazu kamen der Dialog mit den Caritasmitarbeitern, außerdem wöchentliche Absprachen am Bau und auch die Plaudereien mit den zukünftigen Zimmergenossen: Wir wollten eine Art Brücke bilden zwischen den Mitbewohnern, die sich ja meistens nicht kennen. Wir überlegen dann gemeinsam, wie sie ihr Zimmer gestalten wollen. Das baut einfach ein Verhältnis auf einer ganz anderen Ebene auf. Nicht auf persönlichen Vorlieben, sondern auf der Basis des Gemeinsamschaffens. Das schweißt einfach zusammen., erzählt Petra Nagy.

Gar nicht leicht, aber unheimlich wichtig, ist es, mit den Flüchtlingen zu reden. Manche von ihnen können bereits ein wenig Deutsch, andere noch nichts: Wir versuchen es immer erstmal auf Deutsch, manchmal rutscht man dann ins Englische ab, erzählt Sandra Großauer, die an der TU Wien im Master Architektur studiert und sich bei Traudi engagiert. Zur Not geht’s dann immer mit Händen und Füßen oder mal mit Google Translate. Wir hatten mal einen Flüchtling da, der nur das Wort Akkuschrauber verstand. Und das hat auch funktioniert.

Mir persönlich ist an Traudi wichtig, dass die späteren Bewohner von Anfang an dabei sind, so Großauer. Dass sie mitarbeiten, mitkonstruieren und mitaufbauen. Das schafft einen ganz anderen Bezug zu der Sache, als wenn man einfach fertig einzieht. Der eigene Beitrag wertet das Ganze auf. Und die Zusammenarbeit mit den Flüchtlingen ist toll. Sie sind sehr motiviert, es macht ihnen viel Spaß, wenn sie etwas selber machen dürfen, erzählt Sandra Großauer.

Die ersten Bewohner ziehen in diesen Tagen ein, lernen ihre neuen Mitbewohner kennen und richten sich in ihren Räumen ein. Wie wird das Zusammenleben aussehen? Wird man sich verstehen? Schweißt das gemeinsame Gestalten der Zimmer wirklich zusammen? Wie Hawi und Traudi sich weiterentwickeln und wie das Zusammenleben der Bewohner funktioniert, darüber berichten wir in der nächsten Ausgabe von fatum.


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