Gewinner der Karl Max von Bauernfeind-Medaille 2016
Dialog
fatum 5 | , S. 7
Inhalt

Was ist das: Dialog?

Antwort von Christof Rapp

Der philosophische Dialogbegriff erfuhr eine wesentliche Prägung durch die antike griechische Philosophie. Nachdem sich frühere Philosophen unter anderem in Form von Lehrgedichten geäußert hatten, sagte Sokrates, er wolle gar nichts lehren, sondern sich nur mit seinen Mitbürgern unterreden oder unterhalten (griech.: dialegesthai). Was hierbei zunächst wie eine ganz alltägliche Praxis aussieht, nahm aber unter dem Einfluss von Sokrates eine ganz besondere Form an: die eines Zwiegesprächs, bei dem die Gesprächspartner einer Prüfung (peira) unterzogen wurden. Geprüft werden sollten dabei die Wissensansprüche der Dialogpartner, die Sokrates durch die Was-ist-Frage, also die Frage nach der Definition des vermeintlich Gewussten, gezielt unterminierte. In der Regel endeten die sokratischen Gespräche daher mit der Widerlegung (elenchos) des Gesprächspartners, wodurch dessen zuerst mit großer Gewissheit vorgetragenen Behauptungen als Scheinwissen entlarvt waren.

Die sokratische Gesprächsführung diente als Vorbild für die von Platon entwickelte literarische Form des fiktiven philosophischen Dialogs. In seinen Schriften lässt Platon philosophische Probleme durch seine Dialogfiguren in Form eines Frage- und Antwortgesprächs erörtern. Obwohl diesen Gesprächen meistens mehr als nur zwei Personen beiwohnen, konzentrieren sich die einzelnen Abschnitte des Gesamtdialogs zumeist auf einzelne Figuren, die dem Gesprächsführer, zumeist verkörpert durch die Figur des Sokrates, Rede und Antwort stehen. Oft nehmen sich die beteiligten Gesprächspartner nur advokatorisch einer These an, ohne sie selbst zu vertreten. Hierdurch tritt bei Platon der Aspekt der persönlichen Prüfung zunehmend zugunsten einer entpersonalisierten Thesenprüfung in den Hintergrund. Gleichzeitig verteidigt Platon die dialogische Vorgehensweise (für die er auch den Begriff „dialektisch“ einführt) gegen ein monologisches Verfahren, weil nur im Dialog eine philosophische Position sachgerecht unterteilt und in Teilfragen strukturiert werden könne. Außerdem sei nur im Dialog gewährleistet, dass die Gesprächspartner – anders als bei Monologen – jeden einzelnen argumentativen Schritt ausdrücklich billigen. Diese dialogische Struktur des Fragens und Antwortens, bei der jeder Teilschritt ausdrücklich geprüft und – je nachdem – akzeptiert oder verworfen wird, scheint Platon für das Philosophieren so zentral, dass er auch das Denken, das grundsätzlich jeder für sich selbst vollziehen kann, als ein Gespräch der Seele mit sich selbst kennzeichnet.

Die in Platons Dialogen oft implizit vorausgesetzten Regeln einer dialogisch-rationalen Thesenprüfung werden von Aristoteles zur Anleitung einer Gesprächsform kodifiziert, die auf den ersten Blick recht artifiziell anmutet. In dem „dialektischen“ Zwiegespräch bei Aristoteles gibt es eine strikte, zu Beginn eines Gesprächs jeweils festgelegte Rollenverteilung zwischen dem Fragenden und dem Antwortenden. Der Antwortende muss zunächst aus einem kontradiktorischen Aussagenpaar auswählen, welche These er verteidigen will. Von nun an versucht der Fragende durch Satzfragen den Antwortenden zu solchen Zugeständnissen zu drängen, aus denen er die Widerlegung der vom Antwortenden gewählten Ausgangsthese herleiten kann. Der Antwortende darf hierauf nur mit Ja oder Nein, das heißt mit dem Akzeptieren oder Ablehnen der vorgelegten Thesen, reagieren. Ist die vorgelegte These weithin anerkannt, zum Beispiel, dass es Bewegung gibt, muss der Antwortende diese akzeptierten. Ist die These weniger plausibel, und steht zu befürchten, dass sie der zu verteidigenden Ausgangsthese widerspricht, wird er sie tunlichst zurückweisen. Schafft es der Fragende innerhalb einer zuvor definierten Zeitspanne, eine Widerlegung aus den Zugeständnissen des Antwortenden herzuleiten, dann hat er das dialektische Gespräch gewonnen, schafft er es nicht, hat der Antwortende gewonnen. Zwar meint Aristoteles nicht, dass sich mit diesem Verfahren die Wahrheit einer philosophisch-wissenschaftlichen These endgültig etablieren lässt, jedoch ist es für den Wahrheitswert einer These sehr wohl aufschlussreich, ob sie sich in einem derart regulierten Dialog konsistent verteidigen lässt oder nicht.


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