Gewinner der Karl Max von Bauernfeind-Medaille 2016
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fatum 1 | , S. 8
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Was ist das: Philosophie?

Antwort von Prof. Dr. Klaus Mainzer

Philosophie heißt für mich Grundlagenforschung der Wissenschaft. Es geht dabei um die Grundprinzipien unseres Wissens. Wenn z. B. Informatiker nach den Grundprinzipien der Informatik fragen, geht es letztlich darum, inwieweit Wissen auf Algorithmen zurückführbar ist und damit auf Computern verarbeitet werden kann. Wenn Mathematiker nach den Grundprinzipien der Mathematik fragen, stoßen sie auf Probleme der Logik, des Beweisens und der Algorithmen. Der Mathematiker Hilbert sprach daher von „Metamathematik“ zur Bezeichnung einer logisch-mathematischen Beweistheorie in Anspielung auf die historische Bezeichnung „Metaphysik“.

Aristoteles hat die Fragen nach den Prinzipien der Physik in einem Buch zusammengestellt das „hinter“ (griech. meta) seine Bücher über Physik eingeordnet wurde. Daher bürgerte sich später die Bezeichnung „Metaphysik“ ein. Newton stellte in seinem Hauptwerk bereits im Titel heraus, dass diese Grundprinzipien mathematisch sind: „Principia mathematica philosophiae naturalis“. Newton verstand sich also als Naturphilosoph, wenn auch mit den Methoden der Mathematik, des Experiments und der Beobachtung. Wenn Physiker heute nach den Grundprinzipien der Physik fragen, stoßen Sie auf fundamentale mathematische Grundgesetze und schließlich auf Fragen nach z. B. Kausalität, Raum-Zeit, Symmetrie. Das ist „Metaphysik“ in der Nachfolge von Newtons Naturphilosophie. Ebenso ließe sich am Beispiel von Adam Smith, dem „Newton der Wirtschaftswissenschaften“, zeigen, wie er sich als „Moralphilosoph“ verstand, der die Grundlagen und Prinzipien wirtschaftlichen und ethischen Handelns begründen wollte. Wenn wir heute nach den Grundprinzipien der Ökonomie fragen, stoßen wir auf fundamentale Grundfragen von Marktgesetzen, Institutionen und Handlungsnormen.

In einigen meiner Bücher habe ich gezeigt, dass auch die Lebenswissenschaften und die Gehirnforschung dabei sind, die von ihnen untersuchten Prozesse auf mathematische Grundprinzipien und Algorithmen zurückzuführen. Darauf baut die moderne Robotik und Künstliche Intelligenz-Forschung auf. Seit vielen Jahren war und bin ich in Projekten der Robotik eingebunden, in der letztlich alte erkenntnistheoretische Fragen mit den Methoden der Technik untersucht werden.

Unser Grundgesetz garantiert aus guten historischen Gründen die Freiheit der Wissenschaft. Sie entspricht der wichtigsten Eigenschaft der menschlichen Spezies: Das ist die menschliche Neugierde. In Philosophie und Wissenschaft wurde daraus theoretische Neugierde, die zu Methoden und Problemlösungsverfahren führt. Allerdings sollte unser technisch-wissenschaftliches Wissen eingesetzt werden, um die Lebensbedingungen des Menschen zu verbessern und zu entwickeln. Theoretiker brauchen wenig Geld und Mittel. Aber die Konsequenzen ihrer Theorien können die Welt erschüttern. Sokrates berichtet in Platons Dialog Theaitetos (174a) von Thales von Milet, dem ersten Mathematiker und Philosophen, dass er, während er den Himmel betrachtete und Theorien nachhing, in einen Brunnen fiel. Eine thrakische Magd verspottete ihn daraufhin, dass er nach dem Wissen des Himmels strebe, aber was direkt vor seinen Füßen läge ihm unbekannt bliebe.

Dass wir den Umweg über die Theorie des Himmels, nämlich die Gravitationstheorie Newtons gehen müssen, um den freien Fall von Thales in den Brunnen zu erklären, ist spätestens seit der neuzeitlichen Physik bekannt. Platon erläutert im Anschluss an seine Geschichte, dass die Welt des Theoretikers das allgemeine Gesetz ist, das die konkreten Dinge erst erklärt. Mit Theorie beschäftigen sich per excellence Philosophie und Mathematik. Sie erfinden und entdecken neue Welten und Universen nur kraft logischer Argumente. Sie wagen es sogar, die Existenz der physischen Welt in Frage zu stellen, um die Gründe ihrer Existenz besser zu verstehen: Warum existiert etwas und nicht nichts? Diese vorsokratische Frage aus der Zeit des Thales bewegt auch die moderne Wissenschaft, wenn sie nach Theorien für den Anfang des Universums und unserer Existenz sucht.

Philosophie gilt seit der Antike als Ursprung der Wissenschaften. Sie fragt auch heute noch nach den Prinzipien unseres Wissens, seinen transdisziplinären Zusammenhängen, seinen sozio-kulturellen Bedingungen und ethischen Konsequenzen. In der Fokussierung auf Wissenschaft und Technik vermag die Philosophie heute Kompetenzen für interdisziplinäre Aufgaben zu fördern z. B. die Vermittlung komplexer Zusammenhänge oder die argumentative Begründung kritischer Standpunkte.


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